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Blog > Eintrag: Eine russische Schönheit
Eine russische Schönheit Mittwoch, 11. Juni 2008, 00:23:03 Die Gestalt der Marina Zotova in Gorkis Roman "Das Leben des Klim Samgin"
(Wenn Sie den Beitrag in russischer Sprache lesen möchten, finden Sie ihn hier)
Im Korridor wurde es laut, die Tür ging auf, und mit Dunjascha trat eine große schwarzgekleidete Frau ins Zimmer, blieb im Gegenlicht der Sonne stehen und sagte mit tiefer und klangvoller Stimme zu Dunjascha: „Er erkennt mich nicht.“ Aber Klim hatte sie erkannt, es war Marina Premirowa, ebenso monumental wie als Mädchen; jetzt war sie nur größer, schlanker. „Du bist mehr als nötig gealtert“, sagte sie, die Worte melodisch, träge dehnend; dann drückte sie mit ihren heißen Fingern voller Ringe Samgin kräftig die Hand und sagte, nachdem sie ihn von sich geschoben und von Kopf bis Fuß gemustert hatte: „Na, trotzdem bist du ein richtiger Mann! Wieviel Jahre haben wir uns nicht gesehen? Ach, rechnen wir lieber nicht nach!“ Sie lächelte nicht mehr so sinnlich und erschreckend breit wie in Petersburg und bewegte sich weich und lautlos mit jener Grazie, die nur die Kraft verleiht. Die typische Geschäftsfrau, beeilte sich Samgin sie zu kennzeichnen, während er ihre Fragen beantwortete. „Na und Dmitrij?“ fragte Marina. „Du weißt nicht? Schau mal an. Jaja. Turobojew ist erschossen worden. Nun hat er ausgetanzt“, fügte sie gleichmütig hinzu. „Erinnerst du dich noch an die Nechajewa?“ Ihre Wimpern zuckten in schöner Weise und verliehen den Augen den Ausdruck angestrengten Nachdenkens. Samgin fühlte, daß sie ihn maßund wog. Sie seufzte und sagte: „Was für Bekannte haben wir noch?“ „Kutuzow“, erinnerte Klim. „Den sehe ich hin und wieder. Was schweigst du denn?“ fragte Marina Dunjascha und strich ihr über das straff gekämmte Haar, Dunjascha hatte sich an sie geschmiegt wie eine halbwüchsige Tochter an ihre Mutter. Marina verlegte sich wieder aufs Ausfragen: „Bist du mit deinem Bruder wegen der Politik auseinander?“ Samgin mißfiel es, daß sie ihn duzte; er antwortete etwas trocken: „Nein, nur so... Wir wohnen weit voneinander entfernt, sehen uns selten.“ „Bist du Sozialdemokrat?“ „Ja.“ „Doch nicht etwa Bolschewik?“ „Ich bin nicht in der Partei.“ „Na, das ist schon besser. Verheiratet?“ „Gewesen“, antwortete Samgin nach kurzem Zögern. „Und wie geht es dir?“ „Ich bin seit mehr als drei Jahren verwitwet.“ Sie zog ihre dichten Brauen zusammen und sagte wie eine Bauersfrau: „Mein Gatte hat mir keine Kinder hinterlassen, er hinterließ mir nur die Trauer um ihn...“ Sie senkte den Kopf, dachte eine Weile nach und erhob sich. „Nun, komm doch bitte gegen fünf Uhr zu mir, wir trinken dann Tee und reden ein wenig miteinander...“ Die Frauen gingen, die Streschnewa voran, Marina, die sie mit ihrer Figur vollständig verdeckte, hinterher.
Maxim Gorki: Klim Samgin. Vierzig Jahre. Drittes Buch, Aus dem Russ. von Hans Ruoff, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1976 , S. 129-131
Kommentar:
Ein Wiedersehen besonderer Art
Die angeführte Episode aus dem dritten Teil des Romans „Das Leben des Klim Samgin“ (Жизнь Клима Самгина) erscheint auf den ersten Blick nicht besonders inhaltsreich. Die Handlung spielt vermutlich Anfang 1906 (Gorki verzichtet auf regelmäßige Zeitangaben.) Klim Iwanowitsch Samgin, noch ganz unter dem Eindruck des Moskauer Aufstands, ist gerade in einer Provinzstadt angekommen, die Rusgorod heißt. Dort trifft er zufällig zwei Frauen, die ihm von früher bekannt sind. In der vorhergehenden Szene ist er im Korridor des Hotels mit seiner früheren Geliebten Dunjascha zusammengestoßen. Sie ist Sängerin und gibt unter dem Namen Streschnewa ein Gastspiel in der Stadt. Als er in ihrem Zimmer mit ihr plaudert, klopft jemand an die Tür. Dunjascha geht hinaus und kehrt mit ihrer älteren Freundin Marina zurück, die Samgin vor vielen Jahren während seines Studiums in Petersburg kennen gelernt hat (Erster Teil des Romans). Damals hieß sie Premirowa, jetzt heißt sie nach ihrem verstorbenen Mann Zotowa. Marina und Klim erinnern sich, wie in solchen Situationen üblich, an gemeinsame Bekannte, berichten über ihr vergangenes Leben, Familienstand, politische Orientierung u.a.m. Am Schluss lädt Marina Samgin zu einem Besuch in ihrem Haus ein (es ist ein Laden, in dem sie mit Waren des kirchlichen Bedarfs handelt). Aber in dieser gewöhnlichen Szene eines Wiedersehens gibt es viel Ungewöhnliches. Vor allem fällt auf, dass Marina sofort die führende Rolle in dieser Begegnung übernimmt. Schon ehe das erste Wort fällt, hat diese „große“, „monumentale“ Frau in Schwarz Samgin mit ihrer bloßen Erscheinung überwältigt. Da sie gegen das Sonnenlicht steht, erscheint sie ihm, wie man annehmen kann, von einem Strahlenkranz umgeben. Eine Reihe weiterer Merkmale unterstreicht die Schönheit und die Kraft dieser Frau: der hohe und schlanke Wuchs, die tiefe und kräftige Stimme, dazu eine besondere Manier zu sprechen: sie dehnt die Worte „melodisch und träge“. Sie bewegt sich „weich und lautlos“, „mit jener Grazie, die nur die Kraft verleiht“. Wenn sich ihre Wimpern in einer faszinierenden Weise (krasivo, schön) bewegen, erkennt der Leser in ihr eine „denkende“, kluge Frau. Nichtsdestoweniger geht die Hauptwirkung auf Samgin nicht von ihrer weiblichen Schönheit aus, sondern von der Macht, die sie ihren Gesprächspartner wie selbstverständlich spüren lässt, beginnend mit der unhöflichen Bemerkung über sein Älterwerden, das ihn „mehr als nötig“ gezeichnet habe. Sie zeigt ein eher männliches als ein konventionell weibliches Verhalten. Sie drückt ihm fest die Hand (die Ringe an den Fingern kann man als Zeichen von Macht und Reichtum verstehen), dann mustert sie ihn ungeniert von Kopf bis Fuß und äußert sich anerkennend über seine Männlichkeit. Die dann beginnende Befragung hat den Charakter eines Verhörs. Die Fragen nach Dmitrij (Samgins Bruder), Turobojew, Nechajewa und Kutuzow betreffen wesentliche Orientierungspunkte der menschlichen und politischen Entwicklung Samgins, über die er aber nicht sprechen will. So gerät er in eine ungewohnt peinliche Lage, denn gewöhnlich versteht er es, sich im Umgang mit Menschen, besonders dem mit Frauen, das Gefühl der eigenen Überlegenheit zu bewahren. Ein bewährtes Verfahren für diesen Zweck ist eine in Gedanken ausgesprochene abschätzige Klassifizierung des jeweiligen Gesprächspartners. Er versucht auch hier, dieser übermächtigen Frau ein überlegenes Urteil entgegenzusetzen: „Eine typische Geschäftsfrau“. Aber es gelingt ihm nicht, sein Gleichgewicht wiederherzustellen. Er fühlt sich gekränkt, weil sie ihn einfach duzt, antwortet unwillig und ausweichend, wagt es kaum, selbst Fragen an sie zu richten. Diese erbärmliche Rolle wird um so deutlicher, wenn man sie mit seinem Verhalten in der vorhergehenden Episode in Dunjaschas Zimmer vergleicht. Das „kecke Mädchen“ hatte sich über sein Erscheinen offensichtlich gefreut, sie zeigte deutlich die Bereitschaft, von neuem eine Liebesbeziehung mit ihm einzugehen. Dementsprechend wohl fühlt sich Samgin, er betrachtet sie „mit Vergnügen und Appetit“ und lächelt dabei „so gutmütig, wie er nur konnte“. Als Marina erscheint, ist es mit diesem Wohlgefühl vorbei. Er kann sich vor Marina auch nicht mit seinem Erfolg brüsten, denn Dunjascha nimmt ihn anscheinend gar nicht mehr wahr, stattdessen schmiegt sie sich an Marina wie eine Tochter an ihre Mutter. (Die kinderlose Marina erweist ihre Mütterlichkeit im Umgang mit ihr nahestehenden Menschen.) Schon im Gespräch mit Samgin hatte Dunjascha ihre Bewunderung für Marina ausgesprochen: „Ich bin hier mit einer Geschäftsfrau bekannt – eine Schönheit ist das, Klim!“ Nach ihren Worten ist Marina sogar schöner als Alina, der im Roman gewöhnlich die Rolle der Schönheitskönigin zuerkannt wird.
Ungelöste Rätsel der russischen Kultur
Welchen Sinn hat diese Anfangsszene einer Liebesgeschichte, die den wesentlichen Inhalt des dritten Romanteils ausmacht? Handelt es sich überhaupt um eine Liebesgeschichte? Es ist hier nicht der Ort, den ganzen Prozess der Beziehung zwischen diesen beiden äußerst gegensätzlichen Persönlichkeiten nachzuerzählen, der sich auf ca. 300 Seiten entfaltet. Nur soviel sei gesagt: das auf beiden Seiten unzweifelhaft vorhandene erotische, menschliche und weltanschauliche Interesse führt nicht zu einem erfüllten Liebesverhältnis, man kann sogar daran zweifeln, ob es sich hier um ein Gefühl handelt, das den Namen der Liebe verdient. Es geht eher um ein philosophisches Experiment, den Versuch, zwei grundlegende Prinzipien der russischen Kultur zu vereinigen, die Volksfrömmigkeit der russischen Sekten und die atheistisch eingestellte Intelligencija. Samgin versucht mit aller Kraft, das „Geheimnis“ dieser Frau zu entschlüsseln, die eine starke Anziehungskraft auf ihn ausübt und zugleich Ärger und Enttäuschung in ihm auslöst. Wozu braucht dieses „schöne Weib“ die Religion? Was verbirgt sich hinter der Lehre der „Geistigen“ (Duchovnye), einer Sekte, der Marina als „Steuerfrau“ (kormchaja) vorsteht? Und wie ist diese Rolle mit den konspirativen Beziehungen zu vereinbaren, die sie mit ihrem früheren Geliebten Kutuzov unterhält, dem wichtigsten Vertreter der Bolschewiken im Roman? (Samgin ist im Auftrag der Bolschewiken in die Stadt gekommen; er soll über Marina eine Geldsumme beschaffen, die sich in gerichtlicher Verwahrung befindet.) Alle diese Fragen bleiben – ungeachtet einer langen Reihe von Gesprächen mit Marina für Samgin (und ebenso für den Leser) ohne eine klare und überzeugende Antwort. Auch die Schlussszene des Bandes, die eindrucksvolle Schilderung des „radenie“, eines orgiastischen Rituals der Sekte, bringt nur in einem Punkt eine klare Entscheidung: Klim Samgin, dieser „unheilbare Kopfmensch“ (neizlechimyj umnik), erweist sich als unfähig zu einer Vereinigung mit den Gläubigen, er besitzt weder die sexuelle noch die geistige Potenz, Marinas Geliebter zu werden. Die Handlung spielt in Rusgorod, der symbolische Name unterstreicht die Bedeutung dieses Misserfolgs in Bezug auf die Grundfragen der russischen Kultur: Gefühl und Verstand, Religion und Sozialismus, Volk und Intelligenz - sie kommen nicht zusammen.
Marina – die wahre Heldin des Romans
Die sowjetische Gorki-Forschung bemühte sich, den negativen Charakter der Zotowa, dieser „gierigen Krämerseele“, herauszuarbeiten, wobei sie die offenkundige Sympathie des Autors für diesen exzeptionellen Charakter ignorierte. Einen neuen Zugang zu dieser interessanten und komplizierten Thematik hat der Literaturwissenschaftler und Kulturhistoriker Aleksandr Etkind in der 1998 erschienenen Monographie „Chlyst: Sekty, literatura i revoljucija“ vorgelegt, die der Sekte der Geißler und ihren Widerspiegelungen in Literatur und Politik gewidmet ist. Unter den Prosawerken der russischen Literatur, die sich mit dem russischen Sektenwesen befassen, behandelt der Autor neben Werken von Prischwin, Pilnjak, Wsewolod Iwanow und Platonow auch Gorkis Roman „Das Leben des Klim Samgin“, hauptsächlich den dritten Teil. Etkind hält den Roman (wie die Mehrzahl der Autoren im Westen und auch viele heutige Autoren in Russland) in seiner Hauptlinie für einen künstlerischen Misserfolg. Mit seiner negativen Konzeption des Helden, der als Individualist und „typischer Intelligenzler“ verurteilt werden soll, habe sich Gorki „eine unlösbare Aufgabe gestellt“, weil dieser Person zugleich die Vermittlung der gesamten Romanwelt anvertraut ist. Aber neben diesem misslungenen Haupthelden gebe es „einen echten Helden weiblichen Geschlechts“, der sich zudem durch einen positiven und ungewöhnlichen Charakter auszeichne. Der wahre Held sei nicht der schwächliche Intelligenzler, sondern die Sektenführerin Marina Zotowa. „In ihr verschmilzt die Gestalt des Weisen aus dem Volk mit der Russischen Schönheit, und beide zusammen stehen Samgin gegenüber, dem Schwächling der Kultur.“ Im weiteren behandelt Etkind den eigentümlichen Feminismus Gorkis, der mehr als einmal verkündet hat, die Menschheit bewege sich zwangsläufig zum Matriarchat, die Führungsrolle des Mannes nähere sich ihrem Ende. Die kulturschaffende Bedeutung der Frau hat nach Gorkis Ansicht immer darin bestanden, die „tierischen“ Instinkte des Mannes zu besänftigen. In Verbindung mit Gorkis Suche nach den religiösen Wurzeln des Volkes habe sich dieser Feminismus mit der russischen Sekte der Geißler (Chlysty) verbunden, die nach Meinung des Verfassers „eine direkte Nachfolgerin des antiken Gnostizismus und eine ebenso direkte Vorläuferin des russischen Bolschewismus“ darstellt. Im Roman bewahrt Marina, wie oben erwähnt, ihre Verbindung mit Kutuzov, obwohl sie den programmtischen Atheismus der Revolutionäre für falsch hält. Eine weitere Verbindungslinie des Themas führt zu den aus der Geschichte des russischen Symbolismus bekannten Bildern der „Ewigen Weiblichkeit“ (Vechnaja zhenstvennost‘).
Gruschenka - Dostojewskis „russische Schönheit“
Am Schluss dieses Kommentars möchte ich noch auf ein wahrscheinliches Vorbild der Marina Zotowa aufmerksam machen, das in der Gorki-Literatur, soweit ich sehe, bisher nicht bemerkt worden ist. Die Rede ist von der „russischen Schönheit“ Gruschenka in Dostojewkis Roman „Die Brüder Karamazow“. Dort werden im zehnten Kapitel des dritten Buchs („Beide zusammen“) die Eindrücke wiedergegeben, die Aljoscha bei der ersten Begegnung mit dieser „schrecklichen Frau“ empfängt. Anwesend ist auch die Rivalin Gruschenkas, Katerina Iwanowna, die als eine Dame europäischer Prägung eine Kontrastfigur zu Gruschenka, der russischen Frau aus dem Volk, bildet. In der oben angeführten Episode begegnet eine ganze Reihe verwandter Eigenschaften, die Marina mit der Heldin Dostojewskis verbinden.
Marina ist eine „große“, „monumentale“ Erscheinung, auch Gruschenka ist nicht nur hochgewachsen, sie hat einen „mächtigen Körper“ mit einem „Überfluss an Reizen“ (moshchnoe i obil’noe telo). Gemeinsam ist den Frauen auch eine Eigenart des Gangs: Marina bewegt sich „weich und geräuschlos“, über Gruschenka lesen wir, dass sie – im Unterschied zu dem „starken und munteren Schritt“ Katerina Iwanownas „unhörbar herantrat“. „Ihr Fuß war auf dem Boden nicht zu hören. Weich ließ sie sich in den Sessel nieder, weich war das Rauschen ihres üppigen schwarzen Seidenkleids“ (Beide Frauen sind schwarz gekleidet.) Ein weiteres gemeinsames Merkmal zeigt die Manier zu sprechen. Marina „zieht die Worte in die Länge, melodisch und träge“, einen solchen Eindruck hat Aljoscha auch von Gruschenka: „Warum zieht sie die Worte so in die Länge und kann nicht natürlich sprechen?“ Bei Gruschenka kann man diesen Zug einer gewissen Künstlichkeit dem Mangel an Bildung zuschreiben, bei Marina ist das nicht stichhaltig. Aber Gorki bemüht sich wie Dostojewski , seine Heldin ungeachtet ihrer Intelligenz als eine Frau aus dem Volk zu zeigen. Die Worte über ihre Kinderlosigkeit artikuliert sie „wie eine Bauersfrau“. Ausschließlich Gruschenka eigen sind die Züge einer „jungen“ und „lieben“ Frau. Aber im siebten Buch wird sie als eine vollkommen erwachsene und energische Geschäftsfrau charakterisiert, die der Marina Gorkis sehr ähnlich ist. Als sie von ihrem ehrlosen Liebhaber „in Elend und Schande“ zurückgelassen worden war, entwickelte sich in nur vier Jahren „aus der empfindlichen, gekränkten und erbärmlichen Waise eine russische Schönheit mit einer stattlichen Figur und frischer Gesichtsfarbe, eine Frau mit einem furchtlosen und entschiedenen Charakter, stolz und angriffslustig; eine Frau , die etwas von Geld verstand, eine Unternehmerin, geizig und vorsichtig, die, so sagte man von ihr, in Ehren oder in Unehren ein eigenes kleines Kapital zusammengebracht hatte“. Bei Gorki wird das Feld dieser Tätigkeit ausgeweitet bis zu internationalen Finanzaktionen, die Marina in großem Stil unternimmt. Es geht um nicht weniger als um den Verkauf der Ressourcen Russlands an ausländische Investoren. Ihre Ermordung steht in einem ungeklärten Zusammenhang mit diesen Transaktionen. Die Erörterung dieses Themas und seiner aktuellen Aspekte in der Gegenwart des postkommunistischen und neokapitalistischen Russlands mag aber einer späteren Gelegenheit vorbehalten bleiben. Im Kontext der Beziehungen Gorkis zur russischen Klassik ist das Marina-Thema eines der zahlreichen Zeugnisse für die Nähe des Schriftstellers zu seinem ewigen ideologischen Feind, eine Nähe, die sich besonders in der künstlerischen Erforschung der gemeinsamen nationalen Kultur ausdrückt.
Literatur Etkind, Aleksandr: Chlyst: Sekty, literatura i revoljucija. M. 1998, S. 496-520.
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