Dmitrij Bykov: Reiseführer Russland
Dienstag, 01. September 2009, 23:48:01

Dmitri Bykov, einer der bekanntesten Schriftsteller im heutigen Russland, hat dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama aus Anlass des Staatsbesuchs in Russland ein Grußwort gewidmet, das am 7. Juli 2009 in der „Novaja gazeta“ zu lesen war. Den Originaltext finden Sie hier. Unter der heißen Sonne Italiens habe ich dazu eine deutsche Fassung produziert, die ich meinen Lesern zur Kenntnis gebe.
Sei mir gegrüßt, Barack Hussein Obama, der Einfachheit zuliebe sag ich nur Barack. Du bist nicht stolz, sagt über dich die Fama, du kannst mich ruhig Dima nennen, wenn du magst. Bei euch in den Vereinten Staaten, weit im Westen, wohin demnächst ich eine Reise mache, steht's mit dem Wissen über Russland nicht zum besten, man redet über uns die unglaublichsten Sachen. Damit du dir ein Bild machst, wie wir leben, geb ich dir ein Fünf-Punkte-Paper an die Hand. Das soll auf oft gestellte Fragen Antwort geben, was stimmt und nicht stimmt über unser Land. Das, was Amerika von Russland glaubte, war oft ein Irrtum, - richtig ist jedoch: Wo einst euch ein Imperium die Ruhe raubte, klafft jetzt ein großes schwarzes Loch.
Punkt eins: Von bösen Nachbarn in die Welt gebracht, geht das Gerücht, die Straßen seien voll von Bären. Nicht auf den Straßen – das ist ausgedacht - , nur in der Duma lässt man sie gewähren. Die Elefanten und die Esel fighten in euren Parlamenten um die Macht. Bei uns da brauchts, um Angst und Schrecken zu verbreiten, nur einen einz'gen Bären, der im Kreml wacht.
Vorurteil Nr. zwei: dass wir den Wodka lieben. Das stimmt nicht, aber ohne ihn geht nichts in diesem Land. Wir trinken nicht aus Lust und niederen Trieben, - der Wodka ist Arznei und hält uns bei Verstand.
Punkt drei: Sowjetologen sagen, die vom Fach sind, die Schwarzen seien hierzulande unbeliebt. Das ist nun wirklich der komplette Schwachsinn! Die eigenen Schwarzen ja – doch EURE, das sind die liebsten Schwarzen, die es gibt. In allen Höhen, allen Tiefen der Geschichte hat euer Beispiel uns mit Glück erfüllt. Für unser Selbstbewusstsein war besonders wichtig, dass ihr in eurem Land die Neger killt. Auf Mitgefühl mit deiner Rasse kannst du bauen. Für Onkel Tom war unser Herz stets mitleidvoll und fromm. Wie liebten es, dies Elend anzuschauen, obwohl es uns viel schlechter ging als Onkel Tom.
Punkt vier: Natürlich wirst du im Gewirr der Stimmen auch hören, was die Liberalen sagen. Sie künden einzig und allein vom Schlimmen: «Es ist ganz furchtbar, nicht mehr zu ertragen!» Glaub ihnen nicht, sie schreien Ach und Weh, in Wirklichkeit ist hier die Lage ganz o.k. Klar, auch in Russland wirkt sich die Wirtschaftskrise aus, manch einen hat es bös erwischt. Doch im Vergleich mit Neunzehneinundvierzig ist das doch alles weniger als nichts. Wir haben hier das beste Sozium auf der Welt: die Oberen sind von Armut nicht betroffen, die anderen sind aufs Schlimmste eingestellt. Auf Änderung ist nicht zu hoffen.
Du fragst vielleicht, wo kann da Freiheit bleiben? Freiheit hat jeder, wer er immer sei. Wir dürfen tapfer unsre Zunge reiben an unsrer Obrigkeit - und also sind wir frei! Und SIE sind sowieso schon frei in ihrem Walten. Was ihnen einfällt, können sie auch tun, speziell mit jenen, die den Mund nicht halten, denn solche Dreistigkeit lässt sie nicht ruhn. Das ist die Freiheit, die uns ganz genügt, - es gibt zuviel davon, das ist der tiefere Sinn. Und dass im Wohnzimmer die Glotze lügt, das weiß man und kaum einer sieht noch hin.
Punkt fünf: Doch nun zu unserem TANDEM, vielfach hört man sagen, das sei bei uns die Frage aller Fragen: der eine böse, der andere nicht so ganz. Wer waltet dort als höhere Instanz? Ich rate dir, hör nicht auf solche Schwätzer! Das mit dem Tandem muss man anders sehn. Es gibt hier keinen Kampf und keine Gegensätze: das Tandem ist ein russisches System. Manch einer wird das so nicht akzeptieren, doch du verstehst gewiss, was hier gemeint: Das Tandem als Prinzip kann deshalb funktionieren, weil jeder Boden doppelt hier erscheint. Das Land ist dumm – und voll von klugen Köpfen. Es schätzt nicht Worte, doch die starke Hand. Das Land ist arm – und kann doch aus dem Vollen schöpfen, so dass kein anderer es einfach fressen kann. Das Land ist schwach – und doch nicht zu besiegen. Das Land ist schlecht – und gut trotz aller Qual. Das Tandem ist – ich will dich nicht betrügen - ein und derselben Münze Kopf und Zahl. Vorn herrscht der Adler mit den zwei Profilen, am Rücken wird die Rechnung aufgemacht. Es lebt sich gut mit Stolz und praktischen Kalkülen, der Gegensatz hat niemals Streit entfacht.
Mit einem Bein, so hast du jüngst gesagt, steht der Premier noch in der alten Zeit, doch habe er sich schon weiter vorgewagt: das andre Bein steht in der Zukunft weit. Das wollte der Premier nicht auf sich sitzen lassen und reagierte sauer, wie er's immer tat: So mit gespreizten Beinen festen Fuss zu fassen, das sei für Russen ein unmöglicher Spagat. Ach wirklich? Umgekehrt ist's richtig: wir können sie perfekt, die instabile Pose, wir stehen ewig wackelnd da, ungleichgewichtig, das ist die einzig wahre Diagnose.
Mit diesem Reiseführer in der Hand, wirst du an uns vielleicht die Frage richten: Wieso verlasst ihr eigentlich nicht dieses Land, könnt ihr auf so ein Land nicht gern verzichten? Das ist doch weder Heim noch Hort, ein Abgrund, fauler, sumpfiger Morast. Nein, sag ich dir, wir lieben diesen Ort, mit allem, was du hier gelesen hast. Dies Land ist eine Mutter, sorgenschwer, ein schlimmer Clan – und doch der meine. Und diese Heimat geben wir niemals her, noch nicht mal, Freund Obama, gegen deine. Wir lieben unsre aufgeweichten Wege und unser ganzes aufgeweichtes Los. Wir sind geduldig und ein bisschen träge und nur im Träumen finden wir noch Trost. Doch wenn dir einer sagt, all dies wird nie vergehen, ewig der Frust, vergeblich aller Mut, dies Land wird nie ein bessres Morgen sehen – dann glaub ihm nicht, Obama, sei so gut! Ich glaub es nämlich nicht und wäre froh, wenn du's nicht glaubtest, Bruder, ebenso.